Schweißpraktikum in Hämeenlinna/Finnland
Schüler der Klasse MIM11 haben im Rahmen von Erasmus+ die Gelegenheit genutzt, ein Schweißpraktikum in der Berufsschule der finnischen Stadt Hämeenlinna zu absolvieren und ein Zertifikat über die erbrachten Leistungen zu erhalten. Die betreuenden Lehrkräfte Wolfgang Eggebrecht, Emanuel Freundl (erste Woche) und Tobias Riedl, Simon Hausleider (zweite Woche) haben das finnische Schulsystem und insbesondere das dortige Berufsausbildungssystem näher kennengelernt.
Unsere Anreise begann am 30.04.2023 in Treuchtlingen. Nach einem Flug von München aus erreichten wir Helsinki, von wo aus wir mit dem Zug nach Hämeenlinna weiterreisten. Arto Ruhala, ein Mitarbeiter der Berufsschule Tavastia Vocational College, empfing uns herzlich und brachte uns mit dem schuleigenen Fahrzeug zu den Schülerunterkünften. Diese erwiesen sich als sehr geräumig und modern ausgestattet. Besonderer Blickfang war die Sauna, die für die Schüler in den folgenden Tagen zum Highlight und täglichen Pflichtprogramm wurde. Die Schüler wurden in zwei Unterkünften untergebracht, während die Lehrkräfte in einem nahegelegenen Hotel einquartiert waren.
Der zweite Tag in Finnland war ein Feiertag – das Frühlingsfest Vappu. An diesem Tag wird in den meisten Branchen nicht gearbeitet, sodass auch die Schule geschlossen blieb. Wir nutzten die Gelegenheit, um die Stadtmitte zu erkunden und an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Besonders auffällig waren die weißen Mützen, die zeigen, dass der Träger das Abitur erreicht hat. Außerdem unternahmen wir eine Wanderung durch die weitläufige Landschaft Finnlands zum See Aulangonjärvi. Unterwegs besuchten wir einen kleinen Turm, der uns einen beeindruckenden Ausblick bot.
Am folgenden Dienstag starteten die Schüler direkt mit ihrem Schweißprogramm an der Schule, während die Lehrkräfte eine Präsentation über das finnische Schulwesen erhielten und zum Austausch angeregt wurden. Eine Führung durch das Tavastia Vocational College stand ebenfalls auf dem Programm. Dort konnten wir die vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten kennenlernen, angefangen von Schuhmachern über Schneider bis hin zu Malern und Lackierern. Besonders beeindruckend war die Größe und Ausstattung der Schule. Auch das Verhältnis von Lehrern zu Schülern ließ auf eine einfachere, individuelle Betreuung schließen. Die ersten Interviews mit Lehrern und Schülern bestätigten den Eindruck über eine erhöhte Fokussierung auf individuelle Förderung. Ein interessanter Aspekt des finnischen Schulsystems ist die Möglichkeit für die Lernenden, je nach Leistungsstand ihre Ausbildung maßgeblich zu verkürzen oder zu verlängern, ohne dass Inhalte verändert werden oder ein separater Antrag notwendig ist.
Am Mittwoch hatten wir die Gelegenheit, einen intensiven Blick in die Kfz-Werkstatt zu werfen. Anders als in deutschen Berufsschulen besteht hier die Möglichkeit, kommerzielle Aufträge anzunehmen. Diese Praxis erscheint äußerst motivierend, da die Schüler einen höheren Sinn in ihrer Arbeit sehen. Ein weiterer Tagesordnungspunkt war der Besuch der Räumlichkeiten der Förderklasse. Hier lernen die Schüler nicht nur fachliche Inhalte, sondern auch wichtige Fähigkeiten für den Alltag wie Pünktlichkeit und Wäschepflege.
Am Donnerstag, den 4. Mai, besuchten wir die Metallwerkstatt. Die Vielzahl an Maschinen und die vergleichsweise geringe Anzahl an Lernenden ermöglichte ein effizientes Arbeiten an individuellen Projekten ohne lange Wartezeiten für den Einzelnen. Das positive Verhältnis von Schüler zu benötigten Arbeitsmitteln liegt insbesondere an den leistungsstärkeren Lernenden, welche parallel in Betrieben geschult werden. Im Anschluss führten wir gemeinsam mit unseren Schülern eine Werksführung bei MOVAX durch. MOVAX ist ein weltweit führender Entwickler und Hersteller von baggermontierten, automatisch gesteuerten Ramm- und Gründungsgeräten und hat die patentierte modulare Seitengrifftechnologie erfunden. Ein weiteres Highlight war der Abschluss des Tages mit einer Führung durch die Burg Häme. Die historische Festung in der Stadt Hämeenlinna wurde im 13. Jahrhundert erbaut und gilt als eines der bedeutendsten mittelalterlichen Bauwerke des Landes.
Am Freitag fand ein erstes Feedbackgespräch mit den Verantwortlichen des Programms statt. Beide Seiten äußerten positive Erfahrungen und sprachen sich für eine Fortsetzung des Austauschs zwischen den Schulen aus. Den Abschluss bildete ein gemeinsames Grillen mit unseren Schülern, um die erreichten Ziele zu feiern und sich von den Anstrengungen der vergangenen Tage zu erholen.
Am Wochenende bestand für die Schüler die Möglichkeit, Helsinki zu besuchen: eine Gruppe nutze diese Chance; die andere Gruppe erkundete die nähere Umgebung von Hämeenlinna. Am Sonntag erholten sich dann alle von der ersten sehr eindrucksvollen Woche und sammelten Kräfte für die noch kommende zweite Praktikumswoche. Ferner fand ein Wechsel der betreuenden Lehrkräfte statt: Für Wolfgang Eggebrecht und Emanuel Freundl kamen Simon Hausleider und Tobias Riedl. Die Neuankömmlinge nutzten einen gemeinsamen Pizzeria-Besuch, um sich über das Erlebte und Zuerwartende auszutauschen.
Am Montag starteten die Schüler wieder mit ihrem Schweißpraktikum unter Leitung von Harri Nieminen und seinen Kollegen Kari Vesaluoma und Ram Dalbir, während den Lehrkräften das Schulsystem Finnlands von Arto Ruhala, dem Entwicklungsleiter der Verwaltung, vorgestellt wurde. Nach dem Mittagessen führte uns die Lehrerin Saara Salmi durch den sehr großen Komplex des Berufskollegs. Die Werkstätten mit meist integrierten Theoriearbeitsräumen waren vielfältig: Lackiererei, Kfz-Werkstatt, Elektrotechnik und natürlich die Schweißerei. Aber auch Klassen zum Finnisch lernen konnten besucht werden.
Am Dienstag standen gleich zwei Termine an. Am Vormittag fuhren wir mit den beiden VW-Bussen der Schule zu einem internationalen Kranhersteller, Konecranes, der sowohl für den europäischen als auch nordamerikanischen Markt produziert. Zu Beginn bekamen wir bei Kaffee und Gebäck sowie einige grundlegende Informationen zu den unterschiedlichen Bauteilen, wie Motor und Getriebe, sowie Drahtseiltrommel und Kranfernsteuerung sowie die dazugehörigen elektronischen Schaltkästen. Anschließend besuchten wir die verschiedenen Produktionshallen und konnten uns an den unterschiedlichen Stationen von der Arbeits- und Produktionsweise der Firma ein Bild machen; allerdings nur im übertragenen Sinne, da fotografieren in den Werkhallen verboten war.
Nach dem Mittagessen an der Schule brachten uns die Gastgeber nochmals mit den schuleigenen Bussen zum Bahnhof, um nach einer 45-minütigen Zugfahrt Tampere, immerhin die drittgrößte Stadt Finnlands mit ca. 250.000 Einwohnern, zu erreichen. Saara Salmi, die sich als Einwohnerin der Stadt bestens auskannte, startete die Führung im 25. Stock eines Hotelkomplexes. Hier hatten wir einen traumhaften Blick über die industriell geprägte und doch moderne Topografie. Der Stadtrundgang führte uns zum finnischen Arbeitermuseum Werstas mit der Sonderausstellung Dirty Job (einer Fotoausstellung zu Mienenarbeitern in Amerika). Es handelt sich um ein Spezialmuseum, das sich der Speicherung, Erforschung und Präsentation von Sozialgeschichte sowie der Geschichte der Arbeit verschrieben hat. Insbesondere die Industriegeschichte der Stadt Tampere, die im 19. Jahrhundert als finnisches Manchester bezeichnet worden war, wurde in der Dauerausstellung anschaulich erklärt. Nachdem es Zeit zur freien Verfügung in der Innenstadt gegeben hatte, aßen wir in einem Brauhaus der Stadt zu Abend, um dann gestärkt die Heimreise nach Hämeenlinna anzutreten.
Am Mittwochvormittag weiteten die Schüler ihre Schweißkenntnisse auf das Material Aluminium aus. Außerdem erfolgte eine Vorstellung des CNC-Wasserstrahlschneiders, der mit sagenhaften 3.500 bar arbeiten kann. Dieser wird benötigt, um passgenaue Bleche für die Grillproduktion der Abteilung herzustellen. Am Nachmittag lernten wir den Arbeitsbereich von Saara Salmi noch näher kennen: die Lackiererei. Nachdem sich alle in Schutzanzüge geschmissen hatten, ging es in Kleingruppen los. Hier war auch ein spezieller Atemschutz notwendig, damit keine giftigen Partikel eingeatmet werden konnten. In einem ersten Arbeitsschritt erfolgte die Lackierung von Autoteilen, beispielsweise eines Kotflügels mit Farblack. Nach einer Trocknungsphase trugen alle Teilnehmer noch Klarlack auf ihr Probeobjekt auf. Das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen.
Der Donnerstag stand bereits im Zeichen des Abschieds. Heute sollten alle Schüler ihre Werkstücke vollenden bzw. eine persönliche Bestenauswahl treffen, die sowohl von Schweißlehrer Harri Nieminen als auch dem mitgereisten Metall-Lehrer Simon Hausleider bewertet werden sollten. Für die Lehrkräfte fand an diesem Morgen ein Besuch in der KFZ-Abteilung der Schule an, die letztlich wie eine private Werkstatt funktioniert. Hier können Kunden ihr Auto zum Kundendienst bringen, Reifenwechsel veranlassen oder auch nach einem Unfallschaden diesen reparieren lassen, da die beschädigten Teile in der anliegenden Karosserie-Werkstatt entsprechend aufbereitet werden können. Anschließend kann in der Lackiererei der Schule mit der entsprechenden Farbe das Autoteil besprüht werden, um dann im KFZ-Bereich wieder Endmontage vorzunehmen.
Am letzten Arbeitstag der Woche und nach erfolgreichem Abschluss des Schweißkurses konnten sich die Schüler und alle Lehrer auf einen letzten Firmenbesuch freuen. Die Firma Sisu Axles, ebenfalls in Hämeenlinna ansässig, baut, wie der Name schon vermuten lässt, Achsen. Nach einer kurzen theoretischen Einleitung durch den Betriebsleiter war es möglich, die Produktionshallen des Herstellers zu besichtigen. Auch erklärte uns der Betriebsleiter die einzelnen Arbeitsschritte anhand der jeweiligen Produktionsstraßen. An den Decken konnten wir die uns nun bereits bekannten Konecranes-Kräne wiederfinden. Das Besondere bei Sisu Axles ist, dass sie nur nach Auftragseingang in relativ geringen Stückmengen Achsen für Sonderfahrzeuge und Schwerlastlastwägen produzieren. Ihre Produkte befinden sich zum Beispiel in Panzerfahrzeugen für das Militär oder in den Renn-LKWs der Rally Dakar. Nachdem wir in Anschluss an die Schule zurückgefahren worden waren und ein letztes Mittagessen in der Kantine zu uns genommen hatten, besuchten wir am Nachmittag noch das Militärmuseum in Hämeenlinna. Dort war es uns anhand der ausgestellten Exponate und besonders durch die Film-Dokumentation möglich, einen Blick auf die finnische Geschichte insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert zu werfen. Abschließend gingen wir nochmals an der Burg von Hämeenlinna vorbei, um die zwei Wochen mit einem Abendessen in einer Pizzeria ausklingen zu lassen.
Am Samstag erfolgte die Heimreise. Arto Ruhala brachte die Schüler gegen acht Uhr zum Bahnhof, von wo aus es mit dem Zug Richtung Helsinki ging. Der Rückflug gegen 13 Uhr nach München gestaltete sich auch problemlos, sodass wir von dort wiederum mit dem Zug die Heimreise in Richtung Altmühlfranken antreten konnten. Ein ganz herzlicher Dank an dieser Stelle nochmals an die wahnsinnig tolle Gastfreundschaft der Finnen, allen voran an Saara Salmi und Arto Ruhala sowie an den weltbesten Schweißlehrer Harri Nieminen und sein Team mit Kari Vesaluoma und Ram Dalbir.